TV und Mainstream-Medien als Verbreiter von Desinformation
Auf Basis der obigen Erkenntnisse und diesem starken Fokus auf Annalena Baerbock wollte Avaaz der Frage nachgehen, wie viele Personen in Deutschland die Falschnachrichten über die Kanzlerkandidatin der Grünen gesehen haben.
Eine von Avaaz bei YouGov Deutschland in Auftrag gegebene Umfrage ergab:
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56 % der Erwachsenen in Deutschland haben mindestens eine Falschnachricht über Annalena Baerbock gesehen.
Wenn wir von etwa 60 Millionen Wähler:innen ausgehen, sind das potenziell mehr als 30 Millionen Menschen.
Abbildung -- Aus der Umfrage geht hervor: 56 % der Erwachsenen in Deutschland haben mindestens eine Falschnachricht über Annalena Baerbock gesehen. Die Umfrage kann online eingesehen werden, siehe "Methodik-Kasten". Aus der Umfrage geht nicht hervor, inwiefern die Desinformations-Narrative geglaubt wurden bzw. ob die Falschnachricht mit einer Richtigstellung versehen wurde.
Schauen wir uns nun genauer an, wo die Menschen diese Falschnachrichten gesehen haben, so geht aus der Umfrage hervor:
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Fernsehen und Mainstream-Medien wurden als Top zwei Kanäle genannt, auf denen Falschinformationen über Annalena Baerbock gesehen wurden, sprich: Im Fernsehen und in dem Mainstream-Medien wurden die Falschnachrichten über Annalena Baerbock am häufigsten gesehen.
Auf Platz 3 folgt Facebook.
Abbildung -- Betrachten wir die Kanäle, auf denen Menschen den Falschnachrichten über Annalena Baerbock begegnet sind, so ergibt sich folgendes Bild: Mit 22 % steht die Berichterstattung im Fernsehen an erster Stelle, gefolgt von den Mainstream Medien (Print/Online) mit 18 %. Darauf folgt Facebook (17 %), andere soziale Medien (16 %), Gespräche mit Freunden / Familie / Kolleg:innen usw. (16 %), an anderer Stelle (16 %), WhatsApp (10 %) und Telegram (5 %).
Christoph Schott, Kampagnendirektor bei Avaaz, sagt: „Eines wird klar: Desinformation hat auch in Deutschland das Mainstream-Publikum erreicht. Die Bundesrepublik läuft Gefahr, in die Fußstapfen der USA zu treten, wo Trumps Tweets – ob wahr oder falsch – von den Mainstream-Medien weit verbreitet wurden."
Außerdem ergab die Umfrage:
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Zwei Drittel (66 %) der Menschen in Deutschland schätzen Falschnachrichten und politisch motivierte Desinformationskampagnen als
Gefahr für die Bundestagswahlen
ein.
Abbildung -- Aus der Online-Umfrage von YouGov, die von Avaaz in Auftrag gegeben wurde, geht hervor: Zwei Drittel (66%) der Menschen in Deutschland schätzen Falschnachrichten und politisch motivierte Desinformationskampagnen als Gefahr für die Bundestagswahlen im September ein.
Fernsehen und Mainstream Medien tragen zwar zu einem großen Teil zur Verbreitung der Falschnachrichten bei, deren Ursprung ist jedoch oft in den sozialen Medien auszumachen.
Im Folgenden wird anhand von zwei konkreten Beispielen der zeitliche Verlauf wiedergegeben, im Rahmen dessen sich die Desinformations-Narrative verbreitet haben. Es handelt sich dabei um zwei Falschnachrichten über Annalena Baerbock, die von Faktenprüfern entlarvt worden sind und Bestandteil der YouGov Umfrage waren.
Von den sozialen Medien in die Mainstream-Presse
Das Desinformations-Narrativ „Annalena Baerbock habe das Ende der Haustierhaltung gefordert”, wurde von verschiedenen Faktenprüfern untersucht und als frei erfunden entlarvt. Werfen wir einen Blick auf den Ursprung dieser Falschnachricht, so ergibt sich folgendes Bild: Der FactCheck von
Correctiv
(22.4.21) verlinkt zu einem Facebook-Post; so verhält es sich auch beim FactCheck von
DPA
(22.4.21) und beim
FactCheck von AFP
(22.4.21). Alle drei Faktenprüfungen, die sich mit dem Desinformations-Narrativ „Annalena Baerbock will ein Haustierverbot” beschäftigen, verweisen also auf Facebook-Posts als Ursprung. Am selben Tag, an dem die Faktenprüfer ihre Artikel veröffentlichen, erscheint beispielsweise in den Stuttgarter Nachrichten ein Artikel mit dem Titel „
Fordert die Kanzlerkandidatin wirklich ein Haustierverbot?
” Die Überschrift wird hier in Form einer Frage gestellt, sodass für die Leser:innen nicht von Anfang an klar ist, dass es sich um eine Falschnachricht handelt. Am 29. April 2021 publiziert außerdem Der Westen (Website der Funke Mediengruppe) den folgenden Artikel „
Annalena Baerbock: Hasst sie wirklich Hunde? Zitat macht die Runde – das steckt wirklich dahinter
”. Erneut: Aus der Überschrift wird nicht deutlich, dass es sich hier um ein frei erfundenes Zitat handelt.
Im Folgenden zeigen wir einen Screenshot eines ursprünglich in einem FactCheck genannten Facebook-Posts und die entsprechende Berichterstattung in den Medien. Wie bereits erwähnt, wird auf den Abbildungen deutlich: In den Artikeln von „Stuttgarter Nachrichten” und „Der Westen” wird in den Überschriften nicht auf den ersten Blick klar, ob es sich um eine Falschnachricht handelt ‒ die Desinformations-Narrative werden als Fragen wiedergegeben. Im Gegensatz stehen die Beispiele, die als Zweites gezeigt werden (Nordkurier, Bayerischer Rundfunk): Bei dieser Berichterstattung wird bereits in der Überschrift oder im Untertitel klar, dass es sich um Fake News und Desinformations-Narrative handelt.
Abbildungen -- Links der Facebook-Post vom 21. April 2021 mit dem Desinformations-Narrativ „Haustierverbot”, der im Factcheck von AFP angegeben wird (22. April 2021). In der Mitte die Berichterstattung in den Stuttgarter Nachrichten und rechts die Medienberichterstattung in Der Westen über das hier behandelte Desinformations-Narrativ.
Abbildungen -- Im Gegensatz dazu wird bei der Berichterstattung im Nordkurier oder im Bayrischen Rundfunk bereits in der Überschrift oder im Untertitel klar, dass es sich um Fake News und Desinformations-Narrative handelt.
Auch bei dem Desinformations-Narrativ „es kursieren Nacktbilder von Annalena Baerbock” verhält es sich mit der Verbreitungsstruktur ähnlich. Der Faktenchecker
DPA
(26.4.21) spricht von „Social Media” als „Quelle” dieser Falschnachricht: Eine vermeintliche Aufnahme wird auf Facebook verbreitet, mit der Behauptung, es sei Annalena Baerbock darauf abgebildet. Medien wie RTL.de (
Wirbel um vermeintliche Nacktfotos von Annalena Baerbock im Netz
, (5.5.21) und auch „Die Zeit (
Endet der Hype?
, Absatz „Angebliche Nacktbilder von Baerbock”, 21.5.21) haben im Anschluss über diese Falschnachricht berichtet.
Christoph Schott, Kampagnendirektor von Avaaz, sagt: „Wir müssen uns jetzt alle fragen: Spielen wir geraden den Verbreitern von Falschnachrichten in die Hände, indem wir ihnen helfen, ihre Lügen aus Facebook-Gruppen und Telegram-Chats auf die Fernsehbildschirme und Handydisplays von Millionen von deutschen Wähler:innen zu bringen?"
Deutschland: Parallele zu den USA ersichtlich
In der Tatsache, dass die TV- und Mainstream-Medien als Top zwei Kanäle genannt wurden, auf denen die Desinformation über Annalena Baerbock gesehen wurde, stellen wir starke Parallelen zu den USA fest:
Aus einer
Harvard Studie
vom Oktober 2020 geht hervor: „
Donald Trump hat die Kunst perfektioniert, sich die Massenmedien zunutze zu machen, um seine Desinformationskampagne zu verbreiten und zuweilen zu verstärken.
” Die Washington Post hatte im Anschluss wie folgt über die Studie berichtet: „
Die amerikanische Mainstream-Presse hat einen Großteil der Drecksarbeit gemacht
”. So habe die Mainstream-Presse in den USA dazu beigetragen, dass viele Menschen geglaubt haben, dass die US-Wahlen vom 3. November „gestohlen” bzw. unrechtmäßig gewesen sein könnten. Aus der Berichterstattung in der Washington Post geht außerdem hervor, dass „
Insbesondere die Medien, die sich am meisten bemühten, unvoreingenommen zu erscheinen, einen großen Teil der Arbeit geleistet hatten - zum Teil aufgrund ihrer großen Reichweite und ihres Einflusses auf weniger parteiliche Wähler.
”
Diese Untersuchungsergebnisse zeigen deutlich: Desinformation hat auch in Deutschland die Massen erreicht und hat das Potential, eine Gefahr für die Bundestagswahlen darzustellen.
Ein verantwortungsvoller Umgang mit Berichterstattung im Fernsehen und in den Mainstream-Medien über Desinformations-Narrative in den letzten Wochen vor den Wahlen ist daher unerlässlich
. Die Verantwortung, Richtigstellungen von unabhängigen Faktenprüfern genau all jenen Nutzer:innen anzuzeigen, welche die ursprüngliche Falschnachricht gesehen haben, liegt aus unserer Sicht vorrangig bei den Social Media Plattformen selbst. Nur sie wissen, welche Nutzer:innen mit der Desinformation in Kontakt gekommen sind und können somit gezielter gegensteuern.
Methodik: Die verwendeten Daten beruhen auf einer Online-Umfrage der YouGov Deutschland GmbH, an der 2077 Personen zwischen dem 09. und 12.07.2021 teilnahmen. Die Ergebnisse wurden gewichtet und sind repräsentativ für die deutsche Bevölkerung ab 18 Jahren. Die Umfrage wurde von Avaaz in Auftrag gegeben und ist hier vollständig einsehbar.
Bitte beachten Sie: Die im Abschnitt “Deutschland: Parallele zu den USA ersichtlich” wiedergegebenen Zitate sind im Original auf englisch -- und wurden von Avaaz auf Deutsch übersetzt.
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